Autor
Stefan Roock
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Soziokratie 3.0 (S3) ist eine Sammlung bewährter Techniken, um Teams, Abteilungen und ganze Unternehmen marktorientierter, anpassungsfähiger und partizipativer zu gestalten.
S3-Techniken können pragmatisch auf jeder beliebigen Ebene im Unternehmen verwendet werden und werden nur dort eingesetzt, wo sie relevante Probleme lösen.
Dieser Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten Soziokratie 3.0-Konzepte und möchte zu eigenen kleinen Soziokratie 3.0-Experimenten ermutigen.
Inhalt:
S3 definiert sieben Prinzipien, die sehr gut zu den agilen Prinzipien passen. So kann Soziokratie 3.0 dabei helfen, Agilität außerhalb von Entwicklungsteams zu verbreiten. Und Soziokratie 3.0 kann einen Beitrag dazu leisten, dass „agile” Teams sich wieder auf die grundlegenden Ideen der Agilität zurückbesinnen.
Die Soziokratie 3.0-Prinzipien werden durch über 70 Techniken und Muster konkretisiert. Einige Muster sind kleinteilig und geben Hilfestellung, wie Meetings gut durchgeführt werden können. Andere betrachten den übergreifenden organisatorischen Rahmen.
Aus dem Prinzip der Effektivität und dem Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung folgt, dass schrittweise nur die Soziokratie 3.0-Muster angewendet werden, die relevante Probleme lösen. Es geht nicht darum, möglichst viele oder gar alle S3-Muster einzuführen.
Für die Organisationsgestaltung bilden die Muster „Treiber“, „Domäne“, „Rolle“ und „Kreis“ eine gute Ausgangsbasis.
Jede Veränderung beginnt mit einem Treiber. Ein Treiber beschreibt kurz den aktuellen Zustand und das Bedürfnis der Organisation.
Beispiel-Treiber: Wir liefern mit jedem Release unseres Produktes P1 so viele Fehler aus, dass unsere Kunden unzufrieden sind und die nachfolgenden Aufwände für Fehlerbeseitigungen uns jegliche Planungssicherheit nehmen. Wir wollen die Qualität unserer Entwicklung deutlich erhöhen, um unsere Kunden zufriedenzustellen und unsere Aufwände für Fehlerbeseitigung zu reduzieren.
Der Treiber legt noch keine Lösung fest.
Als Reaktion auf einen Treiber kann im System oder am System gearbeitet werden. Im ersten Fall entsteht eine reguläre Aufgabe, z.B. in einem Backlog. Wenn der Treiber allerdings auf Organisationsstruktur hindeutet, werden meist Domänen angepasst. Eine Domäne ist ein Verantwortungsbereich im Unternehmen.
Beispiel-Domäne: Es gibt vielleicht eine Entwicklungs- und eine Testabteilung, die jeweils mehrere Produkte betreuen. Diese beiden Abteilungen können wir als Domänen verstehen. Als Reaktion auf den o. g. Treiber könnten wir zu dem Schluss kommen, dass eine Zusammenlegung der Domänen Entwicklung und Test in einer neuen Domäne Produktentwicklung sinnvoll sein kann. Da der Treiber spezifisch das Produkt P1 nennt, definieren wir die Domäne „Produktentwicklung P1“. Diese bekommt die Verantwortung, das Produkt P1 in hoher Qualität um Produkteigenschaften zu erweitern, die die Kunden begeistern.
Im Gegensatz zum klassischen Organisationsdesign trennt Soziokratie 3.0 klar zwischen Verantwortlichkeiten und Verantwortungsträgern. Es ist also keinesfalls ausgemacht, dass jede Domäne einer Abteilung o. Ä. entspricht. Erst nach der Definition einer Domäne wird darüber befunden, wer die Domäne sinnvollerweise verantworten sollte. Je nach Größe der Domäne bekommt eine Einzelperson die Verantwortung (dann spricht Soziokratie 3.0 von einer Rolle) oder eine Gruppe von Menschen (dann spricht Soziokratie 3.0 von einem Kreis).
Beispiel-Kreis: Die neue Domäne „Produktentwicklung P1“ ist zu komplex für eine Einzelperson, so dass ein Kreis „Team P1“ die Verantwortung übernimmt. Dieser Kreis setzt sich aus Mitarbeitenden der Abteilungen „Entwicklung“ und „Test“ zusammen.
Die beschriebenen Kernelemente mögen zunächst unspektakulär wirken. Wenn man sie zu Ende denkt, können die Implikationen aber massiv sein.
Wenn man Soziokratie 3.0 lebt, wird man es häufig mit Treibern zu tun haben, die zu Veränderungen der Domänen führen. Das funktioniert dann leichtgewichtig, wenn es keine festen Positionen mehr im Unternehmen gibt, sondern nur noch Rollen, die temporär eingenommen werden.
Darüber hinaus beschreiben Domänen, was für das Unternehmen zu leisten ist. Sie legen aber nicht fest, wie das geschieht. Domänen legen also das Fundament für Eigenverantwortung und Selbstorganisation - auch außerhalb agiler Entwicklungsteams. Insbesondere dürfen Domänen Sub-Domänen ausbilden und ggfs. wieder anpassen.
Unsere Domäne „Produktentwicklung P1“ könnte entscheiden, zwei Sub-Domänen „Entwicklung P1“ und „Test P1“ mit entsprechenden Sub-Kreisen zu bilden. Die Verantwortlichen für die Domäne müssen sich allerdings accountable dafür halten lassen, angemessen auf den Treiber zu reagieren. Wenn sie durch die Sub-Domänen das Ausgangsproblem nicht lösen, müssen sie eine andere Lösung finden.
Debattiere nicht lange darüber, ob ihr Soziokratie 3.0 einführen wollt.
Lauft nach anfänglicher Soziokratie 3.0-Euphorie nicht in die Falle, möglichst viele oder gar alle Soziokratie 3.0-Muster einzuführen. Das ist kein Wettbewerb. Viel hilft nicht automatisch viel.
Schreibt nicht jeden noch so kleinen Treiber auf. Erstellt keine Domänenbeschreibungen für Kleinstaufgaben. Am Ende verwaltet ihr mehr als dass ihr wertschöpfend arbeitet.
Da in Soziokratie 3.0 Optionalität groß geschrieben wird, kann man schwer sagen, wer Soziokratie 3.0 praktiziert und wer nicht. Viele agile Teams arbeiten mit Konsent als Entscheidungsmechanismus - Konsent ist in Soziokratie 3.0 ein Prinzip und eines der Muster.
S3-Muster finden sich z. B. bei:
Eine Reihe weiterer soziokratischer Unternehmen findet sich hier.
Soziokratie 3.0 liefert Werkzeuge, um über einzelne agile Teams hinauszuwachsen und zu einem wirklich agilen Unternehmen zu kommen. Es braucht keinen großen Einführungsprozess. Man kann einfach da starten, wo man ist und Erfahrungen mit den Techniken sammeln, die reale Probleme adressieren.
Die Muster-Sammlung ist sehr groß und kann einen erschlagen. Wenn man sich davon nicht abschrecken lässt und immer den Treiber für die nächste Veränderung klar hat, können die Soziokratie 3.0-Muster ungemein nützlich sein.
Soziokratie 3.0 ist Open-Source. Es kann also von jedem Unternehmen frei verwendet werden und jedes Unternehmen ist frei, es an den eigenen Kontext anzupassen. Es braucht auch keine spezialisierten Tools, für die man Lizenzkosten zahlen müsste.
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Über den Autor
Stefan Roock hilft Unternehmen, Führungskräften und Teams dabei, ihre Potenziale zu entfalten - hin zu erfolgreichen Unternehmen, die ihre Kunden und Mitarbeiter begeistern. Er ist davon überzeugt, dass dazu strukturelle, personelle und interpersonelle Themen im Zusammenspiel adressiert werden müssen.
Veröffentlichungen (u. a.):
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