Autor
Ralf Lethmate
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Hochleistungsteams benötigen mehr als eine Zusammenstellung fähiger Experten
Was unterscheidet normale Teams von Hochleistungsteams? Warum liegt die Effektivität einiger Teams signifikant über der von anderen Teams? Google ging dieser Frage zwei Jahre lang mit 180 Teams nach. Im Ergebnis stellte Google fest, dass es auf die Akteure innerhalb eines Teams weniger ankommt als auf ihre Interaktion. Hierbei stach ein Aspekt besonders hervor: psychologische Sicherheit. Sie bestimmte, wie offen die Teammitglieder waren, Unsicherheit und Unvollkommenheit untereinander zu teilen.
Teams sind dann erfolgreich, wenn Mitglieder offen über Fehler und Unsicherheiten sprechen können. Das schafft Vertrauen, Verantwortung und bessere Ergebnisse. Psychologische Sicherheit ist wichtiger als die individuelle Leistung und fördert eine Atmosphäre, in der jeder sich traut, Verletzlichkeit zu zeigen und aktiv zum Erfolg beizutragen. Sie ist die Grundlage für Verlässlichkeit, klare Strukturen, Bedeutung und positive Auswirkungen der Teamarbeit. Vertrauen beginnt bei sich selbst und wächst durch geteilte Verantwortung und kompetente, klare Missionen.
Klassischerweise wird die Teamzusammensetzung über sich ergänzende Leistungsniveaus und ähnliche Persönlichkeitsprofile der Teammitglieder entschieden. Der Blick richtet sich auf den Einzelnen. Auch eine Berücksichtigung der Team-Player-Fähigkeit fokussiert auf den Einzelnen. Sie wirkt sich zwar positiv auf die Interaktion des Teams aus, bleibt aber eine Betrachtung des Einzelnen. In einer größeren Studie fand Google heraus, dass die erfolgreichsten Teams 5 Eigenschaften teilten.
Die größte Überraschung der Studie war in zweierlei Hinsicht der Aspekt der psychologischen Sicherheit. Zum einen, weil sie darüber entschied, ob ein Team mehr ist als die Summe seiner Mitglieder und zum anderen, weil sie in ihrer Tragweite die weiteren vier Eigenschaften übertraf.
Psychologische Sicherheit beschreibt das Maß der Sicherheit, die Teammitglieder empfinden, unangenehme Wahrheiten auszusprechen, Fehler einzugestehen und untereinander Verletzlichkeit und Unsicherheiten zu zeigen.
Sie beschreibt also eine von Vertrauen geprägte, positive Arbeitsatmosphäre, in der Teammitglieder sie selbst und offen sein dürfen, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. (vgl. Amy Edmondson, Administrative Science Quarterly, Vol. 44, No. 2 (Jun., 1999), pp. 350-383).
Dabei misst sich psychologische Sicherheit nicht an Team-Harmonie, Sicherheit am Arbeitsplatz, lockerer Organisationskultur oder am Grad persönlicher Selbstoffenbarung.
Psychologische Sicherheit hat drei Aspekte:
(„A psychologist’s approach to enabling psychological safety”, Jasmine Zahno & Joseph Perlrine, Scrum Gathering 2019, Vienna).
Verletzlichkeit zeigen zu dürfen ist die Voraussetzung dafür, dass Aufgaben nicht nur abgearbeitet werden, sondern dass Lösungen vom Kundennutzen her ersonnen werden können. Zu weit hergeholt? Nein, denn dazu gehört beispielsweise, im Plenum zugeben zu können, eine Aufgabe nicht verstanden zu haben und (möglicherweise erneut) um Klärung zu bitten. In einer vertrauensvollen Atmosphäre ist dies ohne Gesichtsverlust möglich und führt auf lange Sicht zu besseren Ergebnissen und effektiveren Prozessen.
Verletzlichkeit ist eng verbunden mit Scham („Ich bin zu dumm/nicht gut genug”) und Scham ist der primäre Grund für die Ablehnung hocheffektiver agiler Praktiken wie Pair-Programming und Co-Location.
Studien von Brené Brown belegen, dass Menschen zwei unterschiedliche Strategien verfolgen, mit Verletzlichkeit umzugehen. Die einen behalten unangenehme, schamvolle Erlebnisse für sich, die anderen öffnen sich gegenüber vertrauensvollen Personen und/oder sind im Stande Selbstmitgefühl zu praktizieren. Die erste Strategie ist durch ein Selbstbild persönlicher Unzulänglichkeit geprägt und verfolgt eine Taktik des Ausmerzens oder Ignorierens der Unzulänglichkeit. Dies begünstigt aber auf Dauer Isolation und Depression.
Die zweite Strategie ist eher durch ein Selbstbild der Unvollkommenheit geprägt („Ich bin genug und es ist ok, dass ich Schwächen habe”) und verfolgt das Einladen von Mitgefühl, was zu Vertrauen und Verbundenheit führt. Sie erfordert Mut. (Brown, Brené. The gifts of imperfection. Hazelden Publishing, 2010.)
Vertrauen beschreibt den schmalen Grad zwischen den eigenen Hoffnungen und Ängsten.
Wer Vertrauen schenkt muss sicher gehen können, nicht enttäuscht zu werden. Wer Vertrauen geschenkt bekommt, muss sicher gehen können, die Kompetenzen zu haben oder zu erlangen, äußeren Erwartungen gerecht werden zu können. Vertrauen geschenkt zu bekommen gilt als eine der effektivsten Triebfedern persönlichen Wachstums.
Vertrauen fängt bei einem selbst an. Es ist die Arbeit an der eigenen Glaubwürdigkeit, die sich für andere am Charakter (Integrität und klare Absichten) und an den Kompetenzen (Fähigkeiten und Track Record) abliest.
Vertrauen mit anderen führt zu Verbundenheit, Vertrauen im Team führt zu Alignment, Vertrauen im Markt führt zu Reputation, Vertrauen in der Gesellschaft führt zu gesellschaftlicher Relevanz. Dies sind die fünf Wellen der Glaubwürdigkeit nach Stephen M.R. Covey (Covey, Stephen R., and Rebecca R. Merrill. The speed of trust: The one thing that changes everything. Simon and Schuster, 2006.)
Verantwortung übernehmen ist befähigte (Kompetenz), absichtsvolle (Intention), freiwillige (Autonomie) und von der Sache überzeugte (Purpose) Eigeninitiative. Fehlende Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen ist eine der größten Herausforderungen von selbstorganisierten Teams und Organisationen. Sie manifestiert sich in langen Durchlaufzeiten, unklaren Verantwortlichkeiten in den Rollen, inkonsistenten Prozessen, Ping-Pong-artig hin und her springenden Aufgaben und beschränkten Zugangsberechtigungen. Die Problematik verstärkt sich bei Komponenten-Teams und bei hoher Abhängigkeit von Teams untereinander. Häufig wird Verantwortung mit Verpflichtung verwechselt. Wer sich verpflichtet fühlt ist jedoch nicht frei in der Wahl seiner Optionen. Er handelt auch nicht freiwillig. Verpflichtung ist die reaktive Haltung gegenüber den Erwartungen anderer (vgl. Christopher Avery, The Responsibility Process).
Der Weg zur Übernahme von echter, nämlich gefühlter Verantwortung erfolgt über Klarheit und Kompetenz. Mitarbeiter haben Klarheit über die Absichten ihrer Mission und sind mit ausreichend Kompetenz ausgestattet, die Mission zum Erfolg zu führen (Marquet, L. David. Turn the ship around!: A true story of building leaders by breaking the rules. Penguin UK, 2015).
Der Kreis schließt sich, wenn Verantwortung aufgrund von Unklarheit und Inkompetenz nicht übernommen werden kann: In psychologisch sicheren Umgebungen kann diese Unsicherheit offen ausgesprochen werden (s. Verletzlichkeit oben).
Über den Autor
Ralf Lethmate wurde 1972 geboren, ist promovierter Physiker und hat einen Master of Business Administration (MBA). Als ausgebildeter Change Manager schließt er mit Herzblut zwischenmenschliche und produktbezogene Feedback-Schleifen.
Veröffentlichungen (u. a.):
Übersetzungen:
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